Über Dispersion

Gerhard Eckel
Wien, 1989

Dispersion ist eine Komposition für Klangquellen, Mikrophone, Lautsprecher, Zeitverzögerungsgeräte, Filter und Mischpult. Diese Komponenten werden zu einem Instrument verknüpft, das vom Mischpult aus gespielt wird. Die Partitur definiert die Struktur dieses Instruments und schreibt vor, wann welche Komponenten aktiviert oder modifiziert werden.

Mit Hilfe einer größeren Anzahl von Zeitverzögerungsgeräten wird die Abfolge der von sechs Mikrophonen aufgenommenen akustischen Ereignisse umgestellt. Die so veränderten Klangfolgen werden über vier Lautsprecher verteilt, hörbar gemacht. Zusätzlich zu den zeitlichen und räumlichen Veränderungen der Ereignisse wird auch noch deren Klangfarbe durch leichte Filterung modifiziert. Art und Grad der Transformationen sind durch die Partitur geregelt, die für jede Realizierung des Stückes neu generiert werden kann. Da die vom Spieler am Mischpult vorgenommenen Veränderungen durch die Zeitverzögerung erst deutlich verspätet hörbar werden, ist jede Art der Interaktion, Interpretation oder Improvisation verhindert.

Im wesentlichen wird die als Input verwendete Sequenz von musikalischen Ereignissen schon durch die selektive Mikrophonierung in ihre Einzelteile aufgespaltet. Es findet eine Art Zerstäubung der zeitlichen Struktur statt - eine Dispersion des Stroms von bereits geformten klanglichem Material. Die so gewonnenen Komponenten werden verschiedenen zeitlichen Verzögerungen unterworfen und damit wird eine Umstellung ihrer Abfolge erreicht. Durch diese Umstellung wird der Umfang möglicher Beziehungen zwischen den Einzelteilen erweitert.

Die Partitur schreibt Aktionen vor, die keinen Zusammenhang zur Organisation jener Klangfolgen aufweisen, die über die Mikrophone aufgenommen werden und dadurch als Quelle für die beschriebene Brechung dienen. Durch die Konstellation wird ein Feld von klanglichen und strukturellen Möglichkeiten disponiert, dessen konkrete Ausformung und damit die endgültige Struktur erst durch das Zusammentreffen dieses Mechanismus der Zerstäubung mit seinem Input entsteht. Die Abhängigkeit und zugleich Unabhängigkeit der Maschine von diesem Input vermittelt einen Aspekt von Unbestimmtheit.

Live-Elektronik wird in Dispersion nicht hauptsächlich zur Gestaltung des Klanges, also der Struktur im Mikrozeitbereicht verwendet, sondern zur Transformation struktureller Momente im nächstgrößeren Zeitbereich, im Bereich bis zu fünfzehn Sekunden, eingesetzt.

Die heute abend zur Aufführung gelangende Version wurde als Simultankomponente der integralen Fassung des KLAVIERKONZERTS von John Cage konzipiert. Als Input findet eine von Elisabeth Flunger realisierte Fassung der Variations II von John Cage Verwendung.