Barbara
Becker
GMD
St. Augustin, Deutschland
Gerhard Eckel
IRCAM
Paris, France
I Einleitung
Betrachtet man die gegenwärtige Diskussion im Kontext der sogenannten
Medienkunst, so wird immer wieder das Gelingen einer (neuen) Synthese von
Kunst und Technologie in Aussicht gestellt [1]. Wir
möchten im Folgenden diese These aufgreifen, indem wir zunächst
im historischen Rückblick die Ziele und Geltungsansprüche von
Kunst und Technologie identifizieren, ihre Unterschiede darlegen und Ebenen
einer (potentiellen) Annäherung bestimmen. Dabei werden wir exemplarisch
die Nutzung von Technologie in der zeitgenössischen Musik erläutern
und Möglichkeiten, aber auch Probleme zur Diskussion stellen, die sich
aus der Verbindung ästhetischer und technologischer Perspektiven ergeben.
II Die Problematik der zwei Kulturen
Ausgehend von den frühen Griechen finden sich bis heute Bestimmungsversuche,
die auf die Unterschiedlichkeit kultureller Deutungsmuster verweisen: so
wurden in der Philosophiegeschichte der Wissenschaft primär theoretische,
auf Wahrheitsfindung zielende Erkenntnisideale unterstellt, die Technologie
als vorwiegend praktischer, sich an Nützlichkeits- und Brauchbarkeitskriterien
orientierender Gegenstandsbereich charakterisiert, und die Kunst als zweckfreie,
expressive, individuell geprägte Erkundungsfunktion gedeutet, die diesseits
logozentrischer oder zweckdienlicher Perspektiven zu verorten sei. Damit
trat die Kunst, insbesondere im Kontext der traditionellen Ästhetikdiskussion,
in einen gleichsam natürlichen Widerspruch zur Wissenschaft und zur
Technik.
Vor allem im Kontext kulturkritischer Diagnosen, wie sie beispielsweise
von Adorno [2] entwickelt wurden, gewann die Abgrenzung
künstlerischer Expressivität gegenüber der technologischen
Rationalität besondere Bedeutung. Hier wurde Technologie als Ausdruck
eines totalitären "Man" gedeutet, demgegenüber alleine
die Kunst noch einen anderen Akzent setzen könne, indem sie auf ein
mögliches "Anderes" verweise. In dieser Interpretation erscheint
als grundlegende Maxime jeder technischen Entwicklung das Ziel der Verfügbarmachung;
dies kann sich sowohl auf die Beherrschung und Unterwerfung der Natur beziehen
als auch auf die Kontrolle sozialer Prozesse. Damit gekoppelt ist die Anforderung
an die Zweckdienlichkeit der Technik: technologische Produkte müssen
verwertbar sein, das heißt: sie müssen sich im praktischen Gebrauch
als handhabbar und nützlich erweisen. Mit einer Ausbreitung der Technik
- so die Vertreter einer kulturkritischen Perspektive - wird die Gefahr
immer größer, daß die gesamte Kultur - der Mensch eingeschlossen
- nur noch als Objekt technischer Verfügbarkeit betrachtet wird und
daß sich die zweckrationale Orientierung zunehmend als einzig mögliches
Deutungsmuster und einzig gewinnbringende Zugangsweise innerhalb unserer
Kultur erweist.
Gegenüber einer derartigen Dominanz der Technik und der mit ihr verknüpften
Haltungen hat vor allem Adorno [2] die Kunst als möglichen
Ausweg gedeutet. Ihr (metaphysischer) Erkenntnisanspruch ist dem der Technik
geradezu diametral entgegengesetzt: So soll gegenüber der ordnenden,
totalisierenden Technik im Kunstwerk das Individuelle, Besondere zum Ausdruck
kommen, das sogenannte "Nicht-Identische", begrifflich nicht Faßbare.
Und bis heute gilt innerhalb der philosophischen Ästhetik [3]
[4], daß im künstlerischen Ausdruck neue
Sichten der Welt erprobt und artikuliert werden können, die im Gegensatz
zur generellen Ordnung und Deutungsmaxime stehen. In ihrer Zwecklosigkeit
ziele Kunst gerade nicht auf Verfügbarmachung, sondern verweise in
ihrer Distanzierung von derartigen, der Technik eigentümlichen Haltungen,
auf eine mögliche andere Deutung der Welt.
III Künstlerisches Tun: Annäherungen von Kunst und Technologie
Betrachten wir aber im Folgenden die mit einer solchen Differenzierung verbundenen
Unterstellungen nochmals genauer: Die meisten klassischen Bestimmungsversuche
der Erkenntnisziele und Eigenarten von Kunst sind zumeist dadurch charakterisiert,
daß eine Wertung des Kunstwerks aus der Perspektive der Kunstrezeption
erfolgt. Wenn wir uns jedoch stattdessen der Kunstproduktion zuwenden, stellt
sich die oben skizzierte Kontrastierung technologischer und ästhetischer
Ziele weitaus weniger krass dar.
Das enge Verhältnis von Kunst und Technik bzw. Technologie im Gestaltungsprozeß
ist bereits bei den Griechen ein wichtiges Thema gewesen, in der Folge innerhalb
der Philosophie jedoch eher marginal geblieben. Unter Verweis auf Aristoteles
zeigt so beispielswiese Weibel [5] die enge Koppelung
von "Techné" mit dem Begriff der Schöpfung auf. Technik
sei nicht nur Nachahmung der Natur, sondern auch Gestaltung, schöpferische
Neu- und Umformung; sie ist nicht per se Ausdrucksform eines unbedingten
Willen zur Rationalität und Rationalisierung = Verfügbarmachung,
sondern kann auch zu einer Überwindung und Neudeutung des Gegebenen
beitragen.
Wenn man aber die schöpferische Funktion der Technik als konstitutiv
begreift, dann greift die traditionelle Gegenüberstellung von Maschine,
Mechanischem, Technik und Technologie mit dem Schöpferischen, Kreativen,
und Imaginativen nicht länger. Diese Gegenüberstellung war ohnehin
nur möglich aufgrund der Tatsache, daß der Prozeß des künstlerischen
Schaffens, die Fragen nach dem Wie und Womit, aus der ästhetischen
Diskussion konsequent ausgelassen wurden. Jeder Künstler greift nämlich
auf "Techniken" zurück und verfügt über ein erlerntes
Handwerk. Und zudem bediente er sich immer schon technischer Mittel, um
künstlerische Intentionen zum Ausdruck bringen zu können.
Die Problematik, die aus der Anwendung von Technik in der Kunst resultiert,
liegt also weniger an der Nutzung von Technologie und der Anwendung zielgerichteter
Verfahrensweisen, sondern resultiert aus der im Kontext der Informationsgesellschaft
massiver werdenden Gefahr, daß die zweckrationalen Maxime heutiger
Techniknutzung als einzig mögliche Form des Umgangs mit Technik erscheinen
und so künstlerische Ansprüche und Intentionen verdrängt
werden könnten.
IV Nutzung der Computer-Technologie in der zeitgenössischen Musik
Wie in der Geschichte der Kunst ganz allgemein beobachtbar, ist auch die
Musikgeschichte und die sie jeweils kennzeichnenden Kompositions- und Interpretations-Techniken
beeinflußt vom aktuellen Stand der Technologie. Insbesondere seit
den fünfziger Jahren ließ sich eine unmittelbare Integration
von Technologie in den Kompositionsprozeß beobachten. Sowohl bei der
klanglichen Gestaltung als auch in der formalen Organisation von Musik kamen
technologische Werkzeuge immer häufiger zur Anwendung und wirkten stimulierend
auf die Entwicklung neuer kompositorischer Verfahren.
Vergleicht man die Rolle von Technologie in der Komposition heute mit jener
vor vierzig Jahren, so fällt auf, daß die anregende Funktion,
die Technologie auf die Bildung kompositorischer Konzepte hatte, heute einer
pragmatisch technizistischen Sicht Platz gemacht hat. Technologie wird gegenwärtig
zumeist verwendet, um etablierte musikalische Konzepte zu stabilisieren
und nicht, um neue Möglichkeiten zu explorieren. Nicht mehr das Emanziptionspotential
von Technologie steht im Vordergrund, sondern deren Kapazität, Produktionsprozesse
rationeller zu gestalten. So werden heute oft traditionelle musikalische
Techniken mithilfe von Computer-Technologie automatisiert. Inwieweit eine
solche Rationalisierung neue künstlerische Perspektiven eröffnet
oder eher verstellt, ist nur im Detail erkennbar. Betrachten wir daher die
Verwendung von Computersystemen im Bereich der Komposition heute etwas näher.
Zwei Ebenen sind dabei zu unterscheiden: Die Verwendung von Computern bei
der klanglichen Gestaltung (digitale Klangsynthese) sowie zur Unterstützung
der formalen Organisation (computerunterstützte Komposition).
- Der Einsatz des Computers bei der Klangsynthese ermöglicht eine
weitgehende Kontrolle über alle wahrnehmungsrelevanten Aspekte des
Klangmaterials. Dies impliziert die synthetische Herstellung von Klängen,
die Modifikation existierenden Klangmaterials sowie die Analyse des zeitlichen
Verlaufes einzelner Klangparameter. Eine breite Palette von Klangsynthese-
und transformationstechniken stehen heute zur Verfügung und finden
sporadisch Anwendung in der zeitgenössischen Komposition. Hervorzuheben
ist die Möglichkeit, die Gestaltung des Klangmaterials in den Kompositionsprozeß
zu integrieren.
- Computerprogramme zur Kompositionsunterstüzung ermöglichen
vor allem die symbolische Repräsentation und Manipulation musikalischer
Strukturen. Derartige Programme stellen im wesentlichen komplexe mathematische
und logistische Operationen zu Verfügung, die zur Gestaltung und Ordnung
des musikalischen Materials verwendet werden können. Zudem ermöglichen
sie die Anwendung symbolischer Prozesse zur Organisation musikalischer Parameter
und Strukturen sowie die Bildung und Nutzung von Modellen zur Komposition.
Derartige Modelle haben sowohl eine explikative wie auch eine generative
Funktion [6] und sie dienen sowohl der Manipulation
als auch der Produktion musikalischer Objekte (z.B. Akkorde, Tonfolgen,
Rhythmen, Klänge, etc.).
Die Möglichkeiten, die die erwähnten Computerprogramme in sich
bergen, ähneln interessanterweise jenen Erfordernissen, die von KomponistInnen
in den fünfziger Jahren im Kontext der elektronischen und der seriellen
Musik artikuliert wurden: Kontrolle alle Klangparameter, Echtzeit-Manipulation
musikalischer Objekte, Verfügbarkeit komplexer Rechenprozeduren etc..
Paradoxerweise gelingt dennoch die Nutzung der Computer-Technologie nicht
in befriedigender Weise, sondern läßt Tendenzen erkennen, die
zum Verlust ästhetischer Ansprüche gegenüber den technologischen
Möglichkeiten führen. Wir möchten einige Gründe nennen,
die unseres Erachtens dafür verantwortlich sind, daß die schöpferische
Nutzung der Technologie in der Musik gegenwärtig noch zu selten gelingt:
- Die meisten Programme sind kommerzielle Produkte und basieren auf
traditionellen, veralteten und für die zeitgenössische Kunstmusik
unbrauchbaren Konzepten. Sie zeigen eine vornehmlich technologische Orientierung,
die dazu verführt, sich auf bloße Effekte zu beschränken.
Für KomponistInnen sind derartige Programme kaum nutzbar und wenig
stimulierend.
- Selbst nichtkommerzielle Werkzeuge bergen Probleme in sich: Die mangelnde
Kenntnis der Entwickler über die Eigenarten künstlerischer Imagination,
Exploration und Organisation schlägt sich nieder in inadäquaten
Benutzer-Schnittstellen und mangelnder Handhabbarkeit der Systeme. Spezifische
Aspekte der künstlerischen Kreativität, z.B. die Relevanz des
Körpers, bleiben bei der Programmentwicklung bislang völlig unberücksichtigt.
- Dies führt zur Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Technikern
und Künstlern, die sich aber in concreto oft sehr schwierig gestaltet.
Unterschiedliche Ziele, Deutungsweisen und Lebensstile prallen aufeinander
und verhindern immer wieder eine sinnvolle Kooperation.
Generell läßt sich überdies ein Trend feststellen, der bedenklich
stimmt: Die Möglichkeit der Kontrolle sämtlicher musikalisch relevanter
Aspekte mithilfe von Computerprogrammen bis hin zur Verfügung über
die Aufführungspraxis impliziert, daß der gegenwärtig für
unsere kulturelle Situation typische Modus des Umgangs mit Technologie auch
die künstlerische Tätigkeit des Komponisten beeinflußt.
So ist häufig zu beobachten, daß die ästhetischen Ansprüche,
die sich traditionellerweise auf die Artikulation des Nicht-Identischen,
Brüchigen richteten, gegenüber dem technologisch Machbaren, der
totalen Ordnung und Kontrolle, an Boden verlieren.
V Resumée
Am Beispiel der Nutzung von Computern in der zeitgenössischen Musik
versuchten wir zu zeigen, daß der gegenwärtige Umgang mit dieser
Technologie wenig befriedigend ist. Statt die technologischen Möglichkeiten
schöpferisch zu nutzen, wird allzuhäufig der kulturhistorisch
gewachsene, technologische Habitus, der auf Kontrolle, Beherrschung und
Verfügbarmachung zielt, in der Computerkomposition übernommen
und droht so die expressiven, individuellen Ausdrucksformen, die der Kunst
seit jeher zugeschrieben wurden, verkümmern zu lassen.
Diese Art von Umgang mit Technologie ist dieser jedoch nicht immanent, sondern
resultiert aus einer jahrhundertealten Tradition, die nicht isoliert für
sich steht, sondern in intellektuellen wie sozialen Haltungen ihre Entsprechung
hat. Um zu gewährleisten, daß die heutige Technologie in der
Kunst zu einer schöpferischen Anwendung gelangt, müssen demnach
neue Zugangsformen zur Technologie entwickelt werden: Im spielerischen Umgang
sollten ihre Möglichkeiten exploriert werden, um zu gewährleisten,
daß sie überhaupt in das Ausdrucksrepertoir von Künstlern
integriert werden können. Dabei könnte sich aufgrund unterschiedlicher
Deutungs- und Zugangsweisen von Technikern und Künstlern eine Vielfältigkeit
und Nuanciertheit bei der Anwendung von Technologie ergeben, die in krassem
Widerspruch zum technologischen Habitus innerhalb unserer gegenwärtigen
Kultur steht [7]. Erst auf der Basis eines solchen Zugangs,
der den Gedanken der Beherrschung und Verfügbarmachung hinter sich
läßt, kann die Anwendung von Technik bzw. Technologie in der
Kunst zur Überwindung des Gegebenen beitragen und damit auf eine Dimension
von Freiheit zielen, wie es in kulturkritischen Analysen immer wieder als
eigentliche Bestimmung der Kunst dargelegt wurde.
Literatur
[1] Rötzer, F. (Hrsg.), "Digitaler Schein",
Frankfurt 1991
[2] Adorno, Th.W., "Ästhetische Theorie",
Frankfurt 1972
[3] Henrich, D., Iser, W. (Hrsg.), "Theorien der
Kunst, Frankfurt 1992
[4] Koppe, F. (Hrsg.), "Perspektiven der Kunstphilosophie",
Frankfurt 1991
[5] Weibel, P., "Transformationen der Techno-Ästhetik",
in: Rötzer, F. (Hrsg.), "Digitaler Schein", Frankfurt 1991
[6] Assayag, G., "CAO: vers la partition potentielle",
Les Cahiers de l'IRCAM, No. 3, Paris 1993
[7] Uske, B., "Das Virtualitätsproblem Musik",
in: Berliner Gesellschaft für Neue Musik", Festival virtueller
Irritation", Berlin 1994