Stele

Kinetische Klangskulptur
Gerhard Eckel, *1962
GMD, Sankt Augustin, 1998

8 Lautsprecher, 1 Computer
20 x 250 x 24 cm

Klangmaterial: Vincent Royer, Viola

Realisiert mit Unterstützung des
ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe

Die kinetische Klangskulptur "Stele" vereint plastische und klangliche Elemente in einem hybriden Objekt. Die statische visuelle Form der Skulptur und ihre dynamische akustische Erscheinung bilden dabei einen Kontrast, der die beiden Aspekte wechselseitig verstärkt. Die zu einer fragilen Säule geschichteten Lautsprecher dienen einerseits als Bausteine einer an minimalistischen Ansätzen orientierten (archi)tektonischen Skulptur, andererseits bilden sie in ihrer linearen Anordnung ein akustisches Prisma, das Klangprojektionen von besonderer Nuanciertheit erlaubt. Angeregt wurde diese Anordnung durch Videoarbeiten, bei denen Monitore als Bausteine verwendet und zu Skulpturen zusammengefügt werden. Dabei fungieren die Monitore nicht nur als individuelle Bildschirme, sondern auch als Zellen in dynamischen Bildtexturen. Der Versuch einer Transposition dieses Konzepts in den akustischen Bereich führte schließlich zu der linearen Anordnung von 8 Lautsprechern, die zusammen mit einem Computerprogramm eine akustische Antenne bilden, deren Abstrahlverhalten sich dynamisch verändern läßt. Diese besonderen akustischen Eigenschaften der "Stele" erlauben eine neue Form der Arbeit mit komplexen Klangtexturen und ihrer räumlichen Projektion.

Das für die Skulptur verwendete Klangmaterial wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Bratschisten und Komponisten Vincent Royer entwickelt. Um die Lebendigkeit der Klänge zu erhalten, entstanden alle Aufnahmen in improvisatorischen Situationen. Im Mittelpunkt dieser Klangrecherche standen jene Klänge, die über die verschiedenen Arten von Widerständen Auskunft geben, die ein Streichinstrument auch routinierten Spielern entgegensetzt. Es handelt sich dabei meist um Klänge mit starken Geräuschanteilen, die durch ungewöhnliche Spieltechniken hervorgerufen werden können. Größtenteils sind diese Klänge instabil oder chaotisch, d.h. sie sind auch bei größter Meisterschaft nicht reproduzierbar, was ihnen einen einzigartigen Charakter verleiht, ihre Verwendung im normalen Konzertbetrieb aber stark einschränkt. Das Besondere an diesen Klängen ist nun, daß sie mehr als die gewohnten Instrumentalklänge eine erstaunliche körperliche Reaktion in uns hervorzurufen vermögen, die uns den erwähnten Widerstand unmittelbar erleben läßt - fast als würden wir selbst am Instrument Hand anlegen. Wenn diese Klänge sorgfältig produziert, aufgenommen, adaptiert und in einer Weise akustisch wieder zum Leben erweckt werden (d.h. in den Raum projiziert werden) die ihrer Fragilität, Komplexität und Dynamik gerecht wird, dann können wir z.B. den Widerstand spüren, den Saite und Bogen aufeinander ausüben, bevor ein gleichmäßiger, d.h. stabiler Ton entsteht. Bei den Aufnahmen versuchten wir diese Übergangsbereiche auszuloten, die bei traditionellen Spieltechniken eher vermieden werden.

Das zentrale Problem der Komposition bestand darin, die in den aufgenommen Klängen angelegten Spannungen, Kräfte, Reibungen, Bewegungen, Resonanzen und Schwebungen so in den Raum zu projizieren, daß sich ihr innerer Reichtum unseren Ohren möglichst nuanciert offenbart. Es ging bei dieser Projektion jedoch nicht um eine (ohnedies unmögliche) neutrale Reproduktion der am Instrument erzeugten Klänge, sondern darum, diesen eine akustische Gestalt zu verleihen, die ihrem Gestus entspricht, die sie im richtigen Licht erscheinen läßt. Diese Arbeit ist als eine Art von Interpretation, Übersetzung oder Auslegung der Klänge zu verstehen, die auf der Analyse und den Erfahrungen bei der Aufnahme und der Aufbereitung des Klangmaterials basiert. Die Interpretation vollzog sich also in einem hauptsächlich auf die direkte Wahrnehmung gestützten empirischen Prozeß, in dem für jeden Klang eine Art virtuelles akustisches Objekt geschaffen wurde, das dem Klang eine fast körperliche Präsenz verleiht.

Als Kompositionswerkzeug dienten dabei die besonderen akustischen Eigenschaften der "Stele" in Verbindung mit einem für die Skulptur konzipierten Computerprogramm, mit dem die zeitliche Anordnung und Mischung sowie Transposition und Filterung des Klangmaterials festgelegt und aleatorisch variiert bzw. seriell permutiert werden können. Dieses Programm basiert auf einem Raumklangsystem, das im Rahmen des Projekts "CyberStage" der GMD für die Projektion von auditiven Komponenten in Virtuellen Environments entwickelt wurde. Die Aufnahmen des Klangmaterials wurden in den neuen Studios des Instituts für Musik und Akustik am ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe realisiert. Die zur Verwirklichung der "Stele" notwendigen Experimente in einer akustisch idealen Umgebung konnten im großen Musikstudio (Kubus) des ZKM durchgeführt werden.